Zwei auf der Walz

Die Kluft ist das Erkennungszeichen der Wandergesellen. Und damit hat Peter Lambertz, der seit über drei Jahren auf der Walz ist, die halbe Welt entdeckt. „Ich war in Neuseeland, Tasmanien, China, Vietnam, Thailand und natürlich in vielen Ländern Europas“, schwärmt der 28-jährige Zimmerer. Überall lebt und arbeitet er nach dem Prinzip, kein Geld für Schlafen und Reisen auszugeben. Bei den Flügen sei das mit dem Trampen natürlich schwierig, „aber da finden sich dann Lösungen, oft gemeinsam mit Arbeitgebern.“ Er schwärmt von Walen, von der chinesischen Mauer und vom Möbelbauen in Vietnam. „Aber die meiste Zeit, sei er im deutschsprachigen Raum unterwegs. An seiner Seite ist Marvin Späth, 25 Jahre. Seine Wanderschaft hat gerade erst vor zwei Wochen begonnen. „Ich begleite Marvin drei Monate, damit er alles lernt, was er unterwegs braucht“, so Peter. Danach ist er bereit auf sich allein gestellt zu reisen

„Drei Jahre und einen Tag soll die Wanderschaft mindestens dauern“, erklärt Peter. „Man soll länger in Freiheit leben als man vorher in Knechtschaft war“, so der historische Hintergrund. Mit Knechtschaft meint er die Ausbildungszeit. Nach der Gesellenprüfung mit der Freibesprechung sei man dann frei, auf Wanderschaft zu gehen. „Die Tradition ist über 800 Jahre alt, aber es ist in der heutigen Zeit nicht leicht, die Wanderschaft aufrechtzuerhalten.“ So gehört es zu den Aufgaben der Wandergesellen, Öffentlichkeitsarbeit für die Walz zu machen. „Nicht jeder akzeptiert das freie Leben auf der Straße“, weiß Peter aus Erfahrung. Oft stoße man auf Unwissenheit und somit auch Unverständnis. „Wir sind darauf angewiesen, dass uns die Gesellschaft bei gewissen Dingen unterstützt, denn nur so funktioniert die Walz.“

Wandergesellen haben kein Handy dabei. „Das klappt wunderbar“, so Peter. „Das entscheidende ist das Wort und die direkte Kommunikation. Wir leben nach dem Prinzip „Fragen kostet nichts.“ Da seine Schwester Geburtstag hat, fragt er gleich nach einem Handy, um ihr gratulieren zu können. Klappt.

Immer wieder gab es Zeiten in der Geschichte, in der das freie Leben der Wandergesellen verpönt oder sogar verboten war. „Wir sind das Sinnbild von Freiheit“, sagt Peter. „So war es auch in der DDR verboten, auf die Walz zu gehen.“ Mit wachsendem Wohlstand im Nachkriegsdeutschland der BRD ging auch hier die Zahl der Wandergesellen deutlich zurück. Mittlerweile steigen die Zahlen wieder: „Etwa 500 deutschsprachige Wandergesellen sind momentan unterwegs. Insgesamt sind es 40 verschiedene Gewerke, die auf Wanderschaft gehen. Die Mehrheit sind Tischler und Zimmerer.“

Auch immer mehr Frauen wählen diese alternative Lebensform auf Zeit. In der Gesellschaft der Freien Vogtländer Deutschlands, zu der Peter und Marvin gehören, gibt es keine Frauen. „Aber wir ermuntern und unterstützen sie bei ihrem Weg zur Wanderschaft.“

Die Freien Vogtländer gehören seit 1980 zum Europäischen Dachverband der Wandergesellen CCEG. Damit wurde das Netzwerk noch größer und noch internationaler. Ziel der Gesellen auf Wanderschaft ist es laut Peter, die Welt mit ihren verschiedenen Sitten, Gebräuchen und Arbeitsweisen kennenzulernen.

Arbeit zu finden, sei generell kein Problem. Allerdings möchte man als Wandergeselle nicht nur irgendeine Arbeit machen, sondern dabei auch neue Techniken kennenlernen und Erfahrungen sammeln. „Ich habe zum Beispiel mal ein Mühlrad gebaut. So etwas mache ich wahrscheinlich nie wieder in meinem Leben.“ Oft bekomme man unter Wandergesellen Tipps, wo es gute Arbeit gibt.

Das Gepäck, das die beiden mit sich tragen, ist traditionell in Tücher gewickelt. „Es sieht klein aus, ist aber gut komprimiert gepackt und deshalb auch recht schwer“, erläutert Peter. „Und meine Jacke hat auch ordentlich Gewicht. Da ist mein halbes Büro drin.“ Er packt ein paar Dinge aus: Reisebuch, Adressen, Karten…

Jetzt geht es erst einmal nach Hamburg und Berlin und dann in die Schweiz. „Dort gibt es eine Kluftschneiderei, die sich auf Nähen von Klüfte für Wandergesellen spezialisiert hat. Es gibt mehrere, aber die ist die beste.“ Billig sei so eine maßgeschneiderte Kluft nicht. Man müsse dafür eine ganze Weile arbeiten. Aber dafür hält sie dann auch etwa zwei Jahre.

„Durch die Kluft haben wir ein hohes Ansehen, aber auch eine hohe Verpflichtung, uns entsprechend der Werte unserer Gesellschaft zu verhalten.“ Zu den Grundsätzen gehört es, sich aus Politik herauszuhalten und von Demonstrationen fern zu halten. Man verpflichtet sich, gegenüber Politik und Religionen neutral zu sein.

Trotz dieser Grundsätze ist Peter nicht unpolitisch. Es sei nicht alles nur rosig auf der Walz, manchmal sei man auch Anfeindungen ausgesetzt, da die Menschen aufgrund seiner Kleidung und seiner Frisur assoziierten, er sei Jude. „Der Antisemitismus ist leider immer noch in manchen Köpfen verankert“, so seine Erkenntnis.

„Wir sind das Sinnbild der Freiheit“, so Peter. „Wir verkörpern mit unserer Tradition auch eine weltoffene Lebensweise.“ Nach Schlutup zu den Feierlichkeiten zum 9. November seien sie aufgrund einer spontanen Einladung gekommen. „Es ist mit der Reichspogromnacht und der Grenzöffnung ein geschichtsträchtiges Datum.“ Seit der Grenzöffnung ist es auch für Gesellen aus der ehemaligen DDR wieder möglich auf die Walz zu gehen und ferne Kontinente zu entdecken. Marvin freut sich darauf, sich in den nächsten Jahren handwerklich und persönlich weiterzuentwickeln. Wie man die Knöpfe kunstvoll an die Kluft annäht, hat er von Peter bereits gelernt.