Kellerkinder im Sperrgebiet

Im Untergeschoss des ehemaligen DDR-Mehrzweckgebäudes in Lassahn am Ostufer des Schaalsees in Mecklenburg-Vorpommern wachsen heute Pilze – Austernpilze, Kräuterseitlinge und Shiitake-Pilze. Anschauen kann man die Kulturen gerade nicht, da die Räume für die „Kellerkinder“ renoviert werden. „Damit wir die Biozertifizierung bekommen, müssen die Räume frei von Schadstoffen und von fremden Mikroorganismen sein“, erklärt Heidi Wendel, die Initiatorin der Pilzsucht.

Als die heute 67-Jährige 1999 aus Hamburg hier nach Lassahn kam, hatte sie nur die schöne Landschaft im Biosphärenreservat Schaalsee im Blick. „Ich komme vom Land in Schleswig-Holstein und diese Landschaft hat mich daran erinnert.“ Aber Heidi Wendel hat nicht nur die Gegend genossen, sondern sich auch in das Dorfleben eingebracht. „Ich wollte nie in meinem Leben in einen Verein eintreten und plötzlich war ich Mitglied im Dorfverein Lassahn.“ Dadurch kennt sie alle im Dorf und ist gut vernetzt. „Wir haben gemeinsame Aktivitäten und Feste organisiert, aber auch viele Gesprächsrunden initiiert.“ Irgendwann entdeckte Wendel das Thema Pilzsucht. „Das ließ mich nicht mehr los.“ Sie probierte einige Jahre, las viel über Pilzsucht, traf Menschen, die sich damit beschäftigen… „Dann wurde plötzlich dieses Mehrzweckgebäude am Dorf versteigert und ich kaufte es.“ Und was macht man mit so einem großen Gebäude mit etwa 2000 Quadratmetern Nutzfläche? „Café, Imbiss, Kultur…? Ich wollte ja eigentlich Pilze ziehen“, schildert Wendel ihr Ziel. Irgendwann kam der Durchbruch. Sie hatte genügend Kontakte, fand das Pilzsubstrat, das ihren Ansprüchen genügte, und sie hatte das nötige Know-how und die nötigen Erfahrungen. „Seit zwei Jahren ernte ich“, erzählt sie stolz.

Nebenbei baute sie die Gastronomie auf – den Landtag, wie sich die Location nennt. Die Begriffe „Kunst, Kultur, Kantine“ zeigen, dass es hier mehr als Essen gibt. Das Gebäude hat einen blauen Farbanstrich bekommen, bunte Kraniche zieren als Symbol der Region die Fassade. Der DDR-Charme ist bewusst geblieben – innen wie außen. Aus der Küche des Landtags kommt kein Kantinenessen, dafür abwechslungsreiche Gerichte aus Bioprodukten überwiegend aus der Region und natürlich auch Pilze in verschiedenen Variationen. Seit neuestem bekommt sie Unterstützung von Britta Koth aus Lübeck. „Die Pilze haben mich so fasziniert, dass ich in das Geschäft einsteige.“

Sie sollte eigentlich nur das Marketing für die Kellerkinder und den Landtag machen. Jetzt steigt die 55-Jährige in die Pilzsucht mit ein und wird unter anderem den Vertrieb für Pilze und Pilzprodukte aufbauen. „Der Markt ist da“, ist Wendel überzeugt. Sie denkt an Schwerin, Lübeck und Hamburg. Berlin wäre für sie nicht mehr regional. Sie fühlt sich der Regionalmarke „Biosphärenrerservat Schaalsee – Für Leib und Seele verbunden.

„Im Moment ernten wir alle zwei Wochen etwa 20 bis 30 Kilogramm Pilze“, sagt Britta Koth. Wendel ergänzt: „Ich habe Verantwortung, das heißt, jetzt müssen wir in die Produktion gehen.“ Die Gastronomie ruht in den Wintermonaten. „Diese nutzen wir, um Produkte aus den Pilzen zu entwickeln und herzustellen.“ Es soll zunächst Brotaufstriche und Pestos auf Pilzbasis sowie Pilzpatties für Burger geben. „Aber das soll nur der Anfang sein. Ich habe einen festangestellten Koch und mit dem experimentiere ich viel.“ Platz für weitere Kellerkinder gibt es genügend. „Im Moment produzieren wir auf 60 Quadratmetern, das ganze Untergeschoss hat 400 Quadratmeter“, sagt Britta Koth. Aber klar ist für die beiden Frauen: „Wir produzieren nicht Masse, sondern Qualität.“