Bäche gehören in die ursprünglichen Betten

Nördlich von Lauenburg an der Elbe schlängelt sich der Fluss Delvenau auf etwa 50 Kilometer durch die Landschaft. Auf einer neun Kilometer langen Strecke bildet er die Grenze zwischen Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein und war somit Grenzfluss zwischen BRD und DDR. Hans-Heinrich Stamer, Vorstandsmitglied der Kreisgruppe des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) im Herzogtum Lauenburg in Schleswig-Holstein verfolgt die Entwicklungen im Naturschutzgebiet Stecknitz-Delvenau-Niederung, das Teil des Grünen Bandes ist, schon seit 2006. Das langgestreckte Feucht- und Niedermoorgebiet nördlich von Lauenburg entstand aus dem eiszeitlichen Urstromtal der Delvenau. Bereits im 14. Jahrhundert errichtete die Hanse hier den Stecknitz-Delvenau-Kanal, um Salz, Fisch und andere Waren zwischen Nord- und Ostsee bzw. von der Elbe zur Trave zu transportieren. Die Waren mussten nicht mehr auf dem mühsamen Landweg, auf der „Alten Salzstraße“, transportiert werden, sondern konnten effektiver auf dem Wasserweg verschifft werden.

Im Lauf der Jahrhunderte wurde der Kanal verändert, verlegt und schließlich zum heutigen Elbe-Lübeck-Kanal ausgebaut. Dieser ist seit 1900 auf etwa 62 Kilometern die Wasserstraße zwischen Lauenburg und Lübeck. Die Bedeutung des Kanals ist zurückgegangen, da nur Schiffe bis zu einer maximalen Länge von 80 Metern in die Schleusen können. „Die Schiffe können das Ladevolumen von etwa 35 LKWs aufnehmen“, erklärt der Schleusenwärter. Es gibt Pläne, den Elbe-Lübeck-Kanal auszubauen und auch für größere Schiffe passierbar zu machen. Dem widerspricht Stamer vehement, denn Natur und Tourismus in der Kanalregion würden sehr leiden. „Insbesondere ist die Wirtschaftlichkeit fraglich – der Ausbau wäre reine Steuerverschwendung!“

Am Beispiel der Witzeezer Schleuse zeigt er, wie zukunftsweisend die Technik der alten Schleusen am Elbe-Lübeck-Kanal ist. Als der Kanal gebaut wurde, gab es entlang des Kanals noch keinen Strom. Die Schleusen mussten mechanisch funktionieren. Der Ingenieur Friedrich Ludwig August Hotopp entwickelte ein Prinzip, das allein mit Wasserkraft und Vakuum arbeitet. Das Bewegen der Schleusentore funktioniert über Gegengewichte. Das Wasser zum Heben und Senken des Wasserstandes wird an- bzw. abgesaugt. Die Witzeezerschleuse ist eine der wenigen „Hotoppschen Schleusen“, die heute noch im Einsatz sind. Der Schleusenwärter demonstriert, wie durch Bedienen weniger Hebel die Schleuse in knapp zehn Minuten voll ist. Schiffe könnten jetzt passieren. Stamer hält diese Technik, die ohne Strom funktioniert, nach wie vor für zukunftsweisend und erhaltenswert. Aber Frachtschiffe sind selten auf dem Kanal, Fahrgastschiffe und Sportschiffe kommen im November kaum noch. Durch einen Kanalausbau wären diese Hotopp-Schleusen bedroht.

Stamer hat noch ein anderes Anliegen: „Die Delvenau soll wieder ihr durchgängiges Flussbett erhalten.“ Für eine landwirtschaftliche Nutzung und zur Herstellung der DDR-Grenzanlagen wurde der Talraum entwässert, so dass die Moorkörper Schaden genommen haben. Im Zuge des Kiesabbaus in den 1960er Jahren wurde die Delvenau teilweise zugeschüttet und die von Ost zufließende Riedebek in den neu entstandenen Kiessee 8 eingeleitet. Von dort wird Seewasser über ein Wehr wieder in das ursprüngliche Flussbett der Delvenau eingeleitet. Das Problem sei, dass das Wasser am Wehr immer mit konstanter Menge zufließt. „Ein Fluss braucht aber Dynamik, damit sich unterschiedliche Sohl- und Uferbereiche und somit unterschiedliche Lebensräume für Pflanzen und Tiere entwickeln können. Dynamik ist die Grundlage für die Vielfalt im Bach.“ Warum die Delvenau während des Kiesabbaus umgelegt wurde, weiß Stamer nicht. Bei der Wasserbehörde angefragte Unterlagen liegen ihm nicht vor. Aus heutiger Sicht gibt es keine fachlichen Gründe, die dagegen sprechen, dass der Fluss wieder durchgängig in seinem ursprünglichen Bett fließen darf. Wichtig ist für Stamer auch, dass der kleine natürliche Bach Riedebek wieder an die Delvenau angeschlossen wird. „Nur so können die Fische wieder zum Laichen einen Quellbereich erreichen.“ In der Delvenau kommen zwei Fischarten vor, die als gefährdet gelten: Der Schlammpeitzger und der Steinbeißer, die auf dem schlammigen Grund des Flusses leben. Auch der Fischotter und Biber sind hier zu Hause.

„Wir wollen dieses Gewässersystem wieder in Ordnung bringen“, so Stamer. „Es geht um die Niedermoore, die wir aus Klimaschutzgründen erhalten und auch wieder aufbauen müssen.“ Das sei aber nur möglich, wenn genügend Wasser in den Mooren, Sümpfen und nassen Wäldern bleibt. Stamer berichtet von Gesprächen des BUND mit Landwirten über Projekte zur „nassen landwirtschaftlichen Nutzung“ von Niedermoorflächen. Möglich sind unter anderem Anbau von Rohrkolben, um Dämmmaterial für ökologisches Bauen zu bekommen, Schilfanbau für Reetdächer oder Weideflächen für Wasserbüffel. „Die Landwirte waren interessiert.“

Die Aussicht, den Bächen in der Stecknitz-Delvenau-Niederung ihre ursprünglichen Fließeigenschaften teilweise wieder zu geben, sind laut Stamer gut. Von offiziellen Stellen werden diese Maßnahmen begrüßt. So hat das Bundesamt für Naturschutz einen Antrag des BUND zur „Quervernetzung im Grünen Band“ im Oktober genehmigt. „Für die angrenzenden Naturschutzgebieten in Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein wäre das sehr wichtig.“