Es ist ein offener Ort für alle Menschen. Es ist ein Eintauchen in eine andere Welt zwischen Sikh und Yoga, zwischen Esoterik und Alltag. Siri Kartar Kaur, so der spirituelle Name der 60-Jährigen, empfängt in ihrem großen Haus in der Altstadt von Boizenburg an der Elbe herzlich und gastfreundlich die unterschiedlichsten Menschen. Das Haus hat sie in den letzten Jahrzehnten zu einem Ashram entwickelt. Ashram heißt für Siri „harte Arbeit“ – körperlich und spirituell. Und dazu leitet sie ihre Gäste an. Der Tagesablauf klingt nach Klosterleben: Der Tag beginnt morgens um 5.40 Uhr. „Zweieinhalb Stunden machen wir unsere Yoga-Übungen und Meditation.“ Auch Gesang gehört dazu. Siri spielt Harmonium und gibt eine kleine Kostprobe eines indischen Gesang. „Wir versorgen erst den Körper und dann starten wir in den Tag“, erklärt die Kundalini-Yogalehrerin. Das Argument „keine Zeit“ gilt nicht. „Wer den Tag mit Yoga und Meditieren startet, braucht weniger Schlaf.“ Allerdings hätte man nicht mehr Zeit, aber man starte gestärkt und wacher in den Tag. „Du bist sofort on“, erklärt sie den Deal.
Nach einem vegetarischen Frühstück mit süßem Chai-Tee kommt die körperliche Arbeit. Bei Siri ist das in erster Linie Gartenarbeit. „Ich habe extra einen großen Garten mit 1700 Quadratmetern außerhalb der Stadt gekauft. Da baue ich Gemüse zur Selbstversorgung für mich und meine Gäste an.“
Siri holt etwas aus in ihrer persönlichen Lebensgeschichte. Die Hamburgerin war Produktmanagerin im medizinischen Bereich. Nebenbei baute sie mit ihrem damaligen Mann eine Produktion für Kunsthandwerk auf. „Dafür brauchten wir Platz.“ In Mecklenburg-Vorpommern waren die Häuser billig und von Boizenburg kommt man sowohl mit Zug als auch mit Auto gut nach Hamburg oder Berlin. Also kauften sie 1997 das Haus. Die Ehe ging auseinander, Siri blieb mit Kind und altem Haus in Boizenburg im Dreiländereck Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein, das noch zur Metropolregion Hamburg gehört.
In dieser persönlichen Krise entdeckte sie Kundalini-Yoga, das Yogi Bhajan in den70er-Jahren aus Indien in die westliche Welt brachte. „Es ist nicht das Yoga der Asketen, sondern Yoga für Menschen, die ihren Alltag zwischen Beruf und Familie meistern müssen“, erklärt sie. „Aus Angst zu verhungern, legte ich einen großen Garten an.“
Und in diesem Garten dürfen sich heute Yogagäste erden. Von März bis Juni und von August bis Oktober – eben dann, wenn im Garten viel zu tun ist – bietet sie Interessierten an, mit ihr in ihrem Ashram zu leben und zu arbeiten. Dafür dürfen die Gäste umsonst wohnen, essen und an den Yogapraktiken teilnehmen. „Die Menschen kommen, um sich spirituell weiterzuentwickeln, aber erst einmal muss man sich doch mit dem realen Leben auseinandersetzen“, so Siri. Und da könnten alltägliche Dinge wie Gartenarbeit, Saubermachen, Betten beziehen oder jetzt im Herbst Nüsse für den Wintervorrat knacken. helfen. “Man kommt nicht in einen Ashram um zu tun, wozu man Lust hat, sondern es wird getan, was zu tun ist.“ Als Managerin des Ashrams sei es für sie aber auch wichtig, darauf zu achten, dass es allen gut geht. Viele müssten erst wieder lernen, nicht nur nach den eigenen Bedürfnissen zu handeln, sondern auf andere zu achten und „auch mal anderen dienen.“
Siri ist nicht weltfremd, sondern meistert ihr Leben. Damit sich das große Haus trägt, nimmt sie Übernachtungsgäste auf. So kommen Touristen, Radfahrer oder Wanderer, die bezahlen, statt arbeiten. In Boizenburg bietet sie wöchentliche Yogakurse an. „Einige haben durch mich das Yoga entdeckt und bieten jetzt selbst Kurse an.“ Außerdem organisiert sie europaweit Yogaevents.
Über die Geschichte Deutschlands und dass sie in den „Osten“ ziehen würde, hat sie sich Ende der 90er Jahre keine Gedanken gemacht. “Mittlerweile finde ich die Geschichte und auch die Entwicklung des Grünen Bandes spannend.“ Zu den Menschen in Boizenburg hat sie gute Kontakte durch ihre Yogakurse und durch den Garten, der mitten in einer Gartenkolonie liegt, entwickelt. „Meine Gartennachbarn schauten natürlich am Anfang skeptisch, was wir da so machen.“ Mittlerweile lade ich alle einmal im Jahr ein. Die Menschen freuen sich, dass es nicht nur vegetarische Würste und auch richtiges Bier gibt. „Alle kommen miteinander ins Gespräch.“ Am Tag des offenen Denkmals öffnet sie ihr Haus mit kleinem Innenhof. „Ich koche dann ayurvedisch und es gibt veganen Kuchen. Ich zeige, was wir hier machen und manchmal singe ich auch etwas.“
Siri trägt einen lachsfarbenen Turban um den Kopf und erklärt, dass viele Dinge, die sich im Alltag bewähren, von Religionen integriert werden. Und da gehöre auch die Kopfbedeckung als Schutz vor Sonne oder Kälte dazu. „Es ist noch gar nicht so lange her, dass die Menschen in Deutschland auch Kopfbedeckung trugen – Frauen Kopftücher und Männer Hüte.“ Für sie persönlich ist der Turban zum einen ein Zeichen, dass sie zur Glaubensgemeinschaft der Sikh gehört und zum anderen, ein Symbol, dass sie ihre umfassende Yogaausbildung abgeschlossen hat. Praktisch veranlagt wie sie ist, ergänzt Siri: „Die Temperatur am Kopf ist durch den Turban immer gleich.“ Sie gibt zu bedenken, dass die Religionsfreiheit in Deutschland gar nicht unbedingt sichergestellt sei. „Ich bezweifle, dass ich mit meinem Turban als Produktmanagerin in der Industrie arbeiten könnte.“