Aufstand der Gefangenen im eigenen Land

In Rüterberg wird jedes Jahr einen Tag früher als im restlichen Deutschland gefeiert. So wird auch in diesem Jahr das 30-jährige Jubiläum bereits am 8. November begangen. Die Rüteberger feiern allerdings nicht die Grenzöffnung, sondern sie das Jubiläum der Ausrufung der Dorfrepublik Rüterberg am 8. November 1989. „Wir waren 22 Jahre in unserem Dorf eingesperrt“, beschreibt Meinhard Schmechel, der von 1981 bis 2004 Bürgermeister im Dorf war, die Situation. Rüterberg liegt in einem Elbbogen und war somit von drei Seiten von Grenzsperranlagen zum Westen umgeben. Es gab aber auch einen Zaun zur DDR. Abends um 23 Uhr wurde das einzige Tor und somit der einzige Zugang zum Dorf abgesperrt, dann konnte keiner mehr raus oder rein. Das wollten die Rüteberger nicht länger hinnehmen. Schmechel erzählt von der Demonstration am 8. November. „Wir forderten, dass das Tor zur DDR geöffnet wird.“ Da das abgelehnt wurde, beschlossen die Demonstranten einstimmig, dass sie ab sofort Dorfrepublik nach Schweizer Vorbild seien und in Zukunft ihre eigenen Gesetze machten. „Wir forderten ja nicht die Grenzöffnung zum Westen“, so Schmechel. „Wir wollten ja nur eine Öffnung zu unserem eigenen Land.“ Von den damals 144 Einwohnern hätten etwa 100 demonstriert, ohne zu wissen, was passieren würde. „Das war ein starkes Stück, was wir damals gemacht haben“, ist er noch heute stolz auf sein Dorf. „Wir wussten ja nicht, dass am 9. November eh alles vorbei ist.“ Es dauerte allerdings bis zum 12. November, bis sich das Tor nach Rüterberg auch für Besucher öffnete.

Das kleine Elbdorf sollte in den 70er Jahren komplett verschwinden, ausgelöscht werden. Zum Glück konnte das verhindert werden. „Von den 22 bestehenden Häusern wurde allerdings ein Drittel abgerissen“, so Schmechel, der als Grenzer von Usedom in das Elbdorf kam. Nach seinem Dienst blieb er und gründete eine Familie. Rüterberg war mehr ein Industriedorf als ein Bauerndorf, so dass es Arbeitsplätze gab. Und Wohnraum gab es im Sperrbezirk auch genug.

Schmechel blieb auch nach der Wiedervereinigung Bürgermeister und gestaltete das Dorf. Er erzählt, dass er Land kaufte, ein Neubaugebiet auswies und die Baugrundstücke zum gleichen Preis wieder an junge Familien verkaufte. Es wurden 38 neue Häuser gebaut. Die Einwohnerzahl stieg auf 200. Aber auch die alten Häuser wurden hergerichtet, so dass sich ein hübsches Dorf entwickelte. „Die Einwohner kommen jeweils zur Hälfte aus dem ehemaligen Osten und dem ehemaligen Westen. Das ist eine gute Mischung.“ Aber eine Rolle spiele das nicht mehr. Er erzählt, dass er einmal einen Ausflugsdampfer gechartert und das ganze Dorf eingeladen hätte. „Danach gab es kein Ossi und Wessi mehr. Wir sind ein Dorf und halten zusammen.“

Schmechel hat ein kleines Dorfmuseum in der alten Dorfschule aufgebaut, in der die Geschichte der Dorfrepublik Rüterberg dokumentiert ist. Der 72-Jährige möchte das nun in jüngere Hände geben und ist auf der Suche. Die alte Schule gehört der Stadt Dömitz. Er hofft, dass die Stadt das Haus dem Kulturverein von Rüterberg überlässt, so dass der Verein neben dem Museum auch eine kleine Pension in dem Gebäude betreiben kann. Die Nachfrage sei vorhanden. Der kleine Wohnmobilstellplatz im Ort werde auch gut genutzt. „Mehrere zehntausend Gänse sitzen im weitläufigen Elbvorland, es gibt Rad- und Wanderwege, die Landschaft ist leicht hügelig mit Sanddünen“, wirbt der ehemalige Bürgermeister für den Ort.

Am 8. November wird es in diesem Jahr ein kleines Volksfest geben. Eingeladen ist das ganze Dorf sowie Vertreter aus Politik und Gesellschaft und die Menschen aus Damnatz auf der anderen Elbseite. „Eingeladen habe ich auch den Polizeichef, der am 8. November 1989 Dienst hatte. Ich würde mich freuen, wenn er kommen würde.“

1991 hat der kleine Ort, der mittlerweile ein Stadtteil von Dömitz ist, das Recht bekommen, zum Ortsnamen Rüterberg den Zusatz „Dorfrepublik von 1967 bis 1989“ zu führen. Schmechel zeigt im Heimatmuseum die Urkunde unterzeichnet vom damaligen Innenminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Auf den Informationstafeln am Grenzdenkmal wird erklärt: „Der Begriff „Dorfrepublik“ ist ein Denkmal gegen Unmenschlichkeit – gegen Missachtung von Staats- und Bürgerrecht!“