Von der Grenzkaserne zum Reiterparadies

Was passiert, wenn ein Unternehmer aus einem Dorf nahe der oberpfälzischen Stadt Regensburg neugierig und offen zu einer Auktion nach Berlin fährt? Er wird Besitzer einer ehemaligen Grenzkaserne in der Altmark. Das war 2004. „Es war damals eine reine ökonomische Entscheidung“, so Erwin Schmid. Es gab einen langfristigen Mietvertrag eines örtlichen Reitvereins für das Objekt, zu dem 2,5 Hektar Grundstück gehören. „Ich rechnete und dachte, das könnte sich als Anlage rentieren. Niemand wollte die Kaserne haben, und ich ersteigerte sie für 35000 Euro.“

Einige Woche später fuhr Schmid die knapp 600 Kilometer in die Altmark nach Ziemendorf, einen Kilometer vom Arendsee entfernt. Er schaute sein Objekt an, um zu erfahren, dass sich der Reitverein in Auflösung befand und die Kaserne in einem schlechteren Zustand war, als er es sich vorstellte. „Ich stellte zwei Mitarbeiter ein, mit der Aufgabe, drei Räume in der dreistöckigen, 60 Meter langen Kaserne herzurichten.“ Einige Wochen später kam er mit seiner Familie in die ehemalige Kaserne. „Für meine fünf Kinder war es ein Abenteuer, dieses leerstehende Gebäude, in dem Fledermäuse wohnten, zu entdecken.“

„Über mehrere Jahre hatte ich vier Handwerker beschäftigt.“ Visionen, wie das Gebäude am Ende aussehen oder genutzt werden sollte, gab es laut Schmid für ihn und seine Frau Andrea Greiner-Schmid nicht. „Wir entwickelten das Objekt schrittweise und bauten es aus. „Natürlich gab es auch Zweifel, dass wir an der Größe des Objektes scheitern würden“, blickt er zurück. Es habe auch viele bürokratische Hindernisse gegeben, die manches erschwerten, verzögerten oder verteuerten.

15 Jahre später ist die ehemalige Grenzkaserne Ziemendorf ein Hotel mit 30 Zimmern, zwei großen Ferienwohnungen und vielen Gemeinschaftsräume. Es nennt sich Pferde- und Freizeitparadies. Denn dazu hat es sich entwickelt, obwohl die Schmids keine Reiter sind. „Die Landschaft eignet sich und das Gelände bietet viele Möglichkeiten“, sieht es Schmid nüchtern. „Aber wir machen alles.“ Neben Gästen mit Pferden sind Familienfeiern ein wichtiger Schwerpunkt. „Hier können die Menschen feiern, ohne danach Autofahren zu müssen.“ Auch Radfahrer, Wanderer und Handwerker gehören zu den Gästen. „Es spricht sich herum und gerade der Tourismus am Grünen Band nimmt zu.“

Von Ziemendorf aus kann man am Grünen Band reiten. Die Sandwege durch die endlosen Kiefernwälder entlang der ehemaligen Grenze in der Altmark und im Wendland sind ein Eldorado für Ausritte. Es gibt auch ausgearbeitete Touren, so dass Reiter allein die Umgebung entdecken können. Auf dem großzügigen Gelände der Kaserne gibt es viel Platz für Mensch und Tier, Reitplätze und Volleyballfelder, Paddocks und Tischtennisplatten. „Man muss Geduld haben mit so einem großen Objekt“, so der Unternehmer für industrielle Elektronik. Aber mittlerweile sei es auch rentabel.

„Ich bin in den täglichen Betrieb nicht eingebunden“, so Schmid. Mittlerweile hat er aber eine Niederlassung seiner Firma in Ziemendorf. „Ich komme acht bis zehnmal pro Jahr für eine Woche mit meiner Frau hier her und nutze das als Entschleunigung.“ Andrea Schmid-Greiner sitzt dann im Büro und managt alles zwischen Reitevents und Zimmervermittlung. Er blickt aus dem Fenster der Bibliothek im dritten Stock: „Das erfüllt mich schon mit Freude, wenn ich das sehe – die Pferde, Hänger, Zelte und die schöne Landschaft. Ich bin stolz, dass unsere Arbeit geglückt ist und es uns gelungen ist, dies herzurichten.“

Schmid war es ein Anliegen, dass der Charme der Grenzkaserne erhalten bleibt. Es ist alles schlicht und funktional. In einem Treppenhaus sind drei Original-Wandbilder erhalten, die vermutlich von Soldaten gestaltet wurden. „Wir stellten uns die Frage, wie wir mit der Geschichte der Kaserne umgehen.“ Gemeinsam mit seiner Frau und seinen Kindern entwickelten er die Idee, ein „Treppenhaus der Menschenrechte“ zu gestalten. Den drei Wandbildern, die Grenzsoldaten während ihres Dienstes zeigen, stehen die 30 Menschenrechtsartikel der Charta der Vereinten Nationen von 1948 gegenüber. Bilder von Friedensnobelpreisträgern und Informationen zur Entwicklung der ehemaligen Grenze vom Eisernen Vorhang zum Grünen Band bereichern das Treppenhaus. Auch die Geschichte von zwei Brüdern, die fliehen wollten, ist dokumentiert. Schmid weist auf die UN-Fahne, die vor dem Haus weht. „Es ist meine Weltanschauung, die ich hier verarbeite. Wir Menschen leben auf einem gemeinsamen Planeten und müssen Verantwortung übernehmen“, argumentiert Schmid, der engagiert ist im Bund für Geistesfreiheit, eine Gemeinschaft konfessionsfreier säkularer Humanisten.

Mit dem Hotel hat Schmid auch Arbeitsplätze in der Region geschaffen. Das sei im Ort anerkannt. „Die Menschen sehen, was man tut und dass das Gebäude wieder hergerichtet ist. Damit steigt das Ansehen.“ Er ist auch dankbar, dass er in allen Behörden und Ämtern immer wieder auf Menschen gestoßen sei, die gemeinsam mit ihm nach Lösungen gesucht hätten.

„Als ich die Kaserne ersteigerte, wusste ich gar nicht, dass diese am Arendsee liegt. Wenn ich jetzt hier bin und arbeite, dann fahre ich zwischendurch immer mal mit dem Fahrrad an den See zum Schwimmen. Das ist Lebensqualität.“