Apfelbäume und Literatur zur Versöhnung

„Wir genießen hier das ruhige und gesunde Leben“, so Eva-Maria Heller am Grünen Band in Waddekath mit Blick auf die grünen Weiten, die Pferdekoppel und ihr kleines Häuschen. Sie steht auf dem Kolonnenweg, zieht ein Blatt Papier aus der Tasche und liest ein eigenes Gedicht (siehe unten) vor. Eva-Maria Heller bezeichnet es eher als Zufall, vielleicht auch als Versehen, dass sie mit ihrem Mann Reinhard 1985 in das Dorf im 500 Meter Schutzstreifen in der Altmark gekommen sei. „Wir bekamen eine Stelle im volkskundlichen Museum in Diesdorf und sollten uns um den kulturhistorischen Pflanzenbau kümmern. Allerdings waren wir keine Mitglieder der Partei und in kirchlichen Kreisen aktiv.“ Rückblickend glaubt sie, dass man „uns eigentlich wieder loswerden wollte.“ Allerdings gab es die Zusage für die Stellen im Museum. „Deshalb versuchte man uns durch die Wohnung unter Druck zu setzen.“ Reinhard und Eva-Maria Heller durften die Dienstwohnung des Museums nicht beziehen. Sie kamen bei einem befreundeten Pfarrer in Salzwedel unter. Durch Zufall erfuhren sie, dass es in dem kleinen Ort Waddekath mit knapp 150 Einwohnern direkt an der Grenze freie Wohnungen gäbe. Das ehemalige Bahnhofsgebäude lehnte das Ehepaar ab. „Einen Beobachtungsturm 50 Meter vor der Nase zu haben, wäre dann doch zu viel für uns gewesen“, so Heller. So wählten sie das spartanische Häuschen etwa 300 Meter von der Grenze entfernt direkt in der Nähe der Hundelaufanlage und des Signalzauns. „Wir waren gut bewacht“, so Heller. Die feinsinnige Frau vermutet, dass das auch der Grund gewesen sei, warum sie als nicht-linientreues Paar in den Schutzstreifen ziehen durften.

Die 59-Jährige zeigt einen alten Apfelbaum, der Jahrzehntelang im Schatten der Mauer stand, die um das Dorf gezogen wurde. „Ich konnte diesen Baum immer sehen, wenn ich in Richtung Niedersachsen schaute.“ Heute geht die zierliche Frau hin und schneidet einen Apfel auf. „Ein Prinzenapfel“, so die Fachfrau. „Wir sind Pomologen“, erklärt Heller, das heißt, sie und ihr Mann sind Spezialisten in Sachen Pflege und Erhaltung alter Obstsorten. Sie sind bundesweit vernetzt und aktiv, dass dieses alte Wissen erhalten bleibt. Regelmäßig bestimmen sie in der Altmark und in der Magdeburger Börde bei Veranstaltungen alte Obstsorten. Auch durch Vorträge zur Bedeutung dieser alten Kulturpflanzen und zur biologischen Schädlingsbekämpfung sowie durch Baumschnittkurse sind die beiden bekannt.

Nach der Wende verließ das Paar aus beruflichen Gründen Waddekath und zog nach Niedersachsen. Doch das Haus, das sie in Eigenleistung bewohnbar gemacht haben, kauften sie. Und da zog es sie nach einigen Jahren auch wieder zurück. Das bedeutet allerdings, beruflich viel unterwegs zu sein.

Eva-Maria Heller arbeitet im Bereich Kulturtourismus. Sie bringt Reisegruppen die Schönheit der Kulturlandschaft und die Bedeutung historischer Gärten in Sachsen-Anhalt näher. So schön sie Waddekath findet und so viel sie zu zeigen hätte, aber die touristische Anbindung sei schlecht. „Für Busreisen ist die Anreise zu lang und die Entfernungen zwischen den Besichtigungspunkten sind zu groß.“ Deshalb ist sie mehr im mitteldeutschen Raum unterwegs, wo die Dichte der Kulturstätten höher ist.

Heller erzählt, dass sie schon als Jugendliche verschiedene Träume hatte. „Ich wollte Schriftstellerin werden, hatte aber Angst, dass ich davon nicht leben könnte“, erinnert sie sich. „Ich stellte mir vor, Führungen in Schloss Sanssouci zu machen.“ Studiert hat Heller schließlich Pflanzenzüchtung in Quedlinburg. Heute verbindet sie alle Träume. „Das ist gut und bereichernd.“ Auf dem Kolonnenweg am Grünen Band bei Waddekath liest sie ein eigenes Gedicht vor. „Ich schreibe in erster Linie Kurzgeschichten.“ Bei der Begleitung der Reisegruppen verbindet sie all ihre Fähigkeiten: Literatur, Führen und das Wissen um alte Kulturpflanzen.

Das Schreiben hat sie vor Jahren wiederentdeckt, um Erlebtes zu verarbeiten oder „um aus Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, etwas Schönes zu bauen.“ So hat sie mit ihrem Mann in der Nähe des ehemaligen Todesstreifens Apfelbäume gepflanzt. Wenn sie in den Ruhestand geht, möchte sie ihre Memoiren schreiben – hier in Waddekath. Zu erzählen hat sie viel. „Es ist und war ein spannendes Leben.“

 

 

Grenzenlos

Ganz lautlos, am Abend kam er, der Reiher

und zog seine Kreise am einsamen Weiher.

 

Er pfiff jedes Mal auf Mauer und Zaun,

Grenzschilder beeindruckten ihn kaum.

 

Er saß in Ost und West zu Tische,

holte sich keck die dicksten Fische.

 

Ja, der Reiher im Silberkleid

erweckte damals still den Neid.

 

Mochte der kalte Krieg auch toben,

er machte sich sein Bild von oben.

 

Lang schon, seit dem Fall der Mauer,

zieh‘n Wandrer vorbei, es pflügt der Bauer.

 

Und noch immer, am Abend kommt er, der Reiher –

es ist nicht mehr TOTENSTILL am Weiher.

 

                                           Eva-Maria Heller