Der Wald als großer Abenteuerspielplatz

Für die Waldspatzen ist das Grüne Band ein großer Abenteuerspielplatz. Direkt neben dem Kolonnenweg haben sie ihr zu Hause. Ein Bauwagen, eine Sitzgruppe aus Baumstämmen, eine Komposttoilette und ein kleines Waschbecken auf einer kleinen Waldlichtung oberhalb von Beendorf im Landkreis Börde weisen auf den Waldkindergarten hin. Neun Kinder sitzen vergnügt bei strömendem Regen in Matschhosen, Regenjacken und Gummistiefeln unter dem Vordach des Bauwagens und genießen ihr Frühstück.

„Wir sind keine feste Waldgruppe, sondern ein integrierter Waldkindergarten“, erklärt Erzieherin Melli Jonas, während sie in Regenhose und dickem Pulli Tee aus einem Thermobecher trinkt. Das heißt, jeden Morgen können die 80 Kinder des Beendorfer Kindergartens entscheiden, ob sie mit Melli und ihrer Kollegin in den Wald gehen oder ob sie eines der vielfältigen Angebote im Kindergarten nutzen. „Wir starten um 8.30 Uhr mit bis zu 15 Kindern“, erläutert Melli, die für dieses Projekt extra eine Zusatzausbildung als Naturpädagogin absolviert hat. Heute sind nur neun Kinder mit in den Wald gekommen. „Das liegt nicht am Wetter“, ist Melli überzeugt. „Heute gibt es ein spezielles Angebot für unsere Vorschulkinder, deshalb konnten nur die Kleineren mit.“ Die Frühstücksbrote sind aufgegessen, die Schalen mit aufgeschnittenem Obst und Gemüse geleert und die Kinder werden unruhig und wollen los.

Die etwa 500 Quadratmeter große Waldlichtung gehört der Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz. Burkhard Röker ist als Förster für dieses Gebiet im Lappwald zuständig. Er freut sich, dass die Kinder hier Wald erleben können, wo vor 30 Jahren auf Grund des Grenzausbaus der DDR kein Baum und Strauch stand. Der Wald ist mittlerweile geschlossen. Es wachsen hier überwiegend Birken, Pappeln und Weiden. „Zu unserem Auftrag als Waldbesitzer gehört auch Bildung“, erklärt Röker das Engagement der Stiftung. „Wir stellen dem Kindergarten die Fläche kostenlos zur Verfügung, die Bildung machen die Erzieherinnen, die das viel besser können als wir.“ Aber Röker hat sichtlich Spaß daran, die Kinder zu besuchen. Insgesamt sind in „seinem“ Wald, also im Wald der Stiftung, fünf Waldkindergärten zu Hause. Er schaut öfters vorbei und steht für Fragen der Kinder und der Naturpädagogen zur Verfügung. So blickt er nach oben und erläutert, dass die Kronen der Buchen viel lichter seien als sonst. „Ein Zeichen der Trockenheit der letzten Jahre.“ Etwas ratlos gibt der Förster zu, dass Fachleute angesichts des Klimawandels unsicher sind, welche Bäume in Zukunft in unseren Wäldern wachsen sollen, wenn selbst die heimische Buche schwächelt. „Das Erfahrungswissen der letzten 100 Jahre hilft uns bei den Herausforderungen des Klimawandels nicht. Wir werden uns an die Lösung der Baumartenwahl vorsichtig herantasten“, so der Förster.

Die Kinder interessiert dieses Fachgespräch nicht. Sie klettern auf Bäume, wippen auf Astgabeln, entdecken Rutschen auf Matschwegen oder Baumwurzeln. „Wir sind immer wieder verzaubert, wie die Kinder miteinander umgehen“, kommentiert Melli. „Sie sind hier ganz frei, nichts schränkt sie ein.“ Nicht einmal ein übervolles Spielzeugregal buhle um die Aufmerksamkeit der Kinder. Die Natur ist der große Spielplatz. Bei ihren Rundgängen rund um die Waldwiese bewegen sich die Kinder grenzenlos zwischen Sachsen-Anhalt und Niedersachsen hin und her. Sie entdecken eine Informationstafel des Grenzlehrpfades. Ein Kind zeigt auf ein Bild: „Hier war die Grenze.“ Eine Vorstellung, was die Grenze war und bedeutete, haben die Kinder laut Melli nicht. „Wir thematisieren es von uns aus auch nicht, versuchen aber Antworten zu geben, wenn es Fragen gibt.“ Manchmal sei es schwierig, zu entscheiden, wieviel man den Kindern von der Brutalität der Grenze vermitteln könne. Dann ist die vergessene Brille auf einer Infotafel, unter der sich ein paar Marienkäfer versteckt haben, eine willkommene Ablenkung. Die Naturpädagogin ist wieder in ihrem Element, während die Kinder sie mit Fragen zu den kleinen Tierchen löchern.

„Nebenbei üben wir hier auch jeden Tag achtsam zu sein“, erklärt sie das Erziehungskonzept. Dazu gehöre, das Leben im Wald wahrzunehmen, aber auch auf die anderen zu achten. „Psst, seid mal leise. Wen hören wir?“ Die Kinder lauschen und schon kommt die Antwort „den Eichelhäher.“ Beachtung findet genauso die kleine Spinne im nassen Laub oder ein Feuersalamander auf dem Weg. „Die Kinder gehen auch miteinander achtsamer um“, schildert Melli ihre Beobachtung. So sei es selbstverständlich, dass Kinder bei schmalen Trampelpfaden die Äste für die anderen Kinder an die Seite halten. Viele Eltern seien dankbar, dass es dieses Angebot in Beendorf gibt. Ob das Freitagnachmittag auch noch der Fall ist, wenn sie die Tüte mit den Waldklamotten voller Matsch mit nach Hause nehmen müssen? Aber gleichzeitig nehmen sie glückliche und ausgeglichene Kinder mit ins Wochenende.