Grenzdenkmal statt Klassenzimmer

„Ich fühle mich nicht als Ostdeutsche, sondern als Deutsche“, sagt die 18-jährige Victoria Kirste, Schülerin des Fallstein-Gymnasiums in Osterwieck (Sachsen-Anhalt) am Grenzdenkmal zwischen Wülperode (Sachsen-Anhalt) und Wiedelah (Niedersachsen). Finn Rademacher, ebenfalls 18 Jahre, wohnt ein paar Kilometer weiter in einem Dorf in Niedersachsen und besucht die gleiche Schule. Die Busverbindung sei nicht optimal, aber er habe die Schule wegen des Fächerangebotes gewählt. Beide Schüler helfen regelmäßig, das Grenzdenkmal mit einigen Metern Streckmetallzaun und KFZ-Sperrgraben sauber zu halten. „Begreifen, was Grenze bedeutet“, lautet der Titel des Geschichtsprojektes, das Lehrer Sebastian Knobbe betreut. Gerade hat die Schule für diese Initiative einen mit 5000 Euro dotierten Preis gewonnen. „Machen!2019“ lautete der Titel des Ideenwettbewerbs für die neuen Bundesländer. Das Fallsteingymnasium gewann mit seinem Projekt den Preis in der Kategorie „Deutsch-deutsche Geschichte erlebbar machen“.

2015 hat das Gymnasium in Osterwieck die Patenschaft für das Grenzdenkmal übernommen. Schüler der zehnten Klassen leisten Arbeitseinsätze, um das Gelände zu pflegen. „Dreimal im Jahr kommen Schüler mit Sensen und Scheren, um Büsche zu schneiden und Gras zu mähen“, erklären Finn und Victoria. „Wir halten auch den Zaun frei und sammeln Müll.“

Menschen vor Ort ist es zu verdanken, dass einige Meter Zaun und KFZ-Sperrgraben erhalten blieben. „Doch alles überwucherte im Laufe der Jahre“, so Lothar Engler vom Grenzerkreis Abbenrode, der einstige Grenzer aus Ost und West vereint. Engler knüpfte Kontakt zum Fallstein-Gymnasium. Geschichtslehrer Sebastian Knobbe war begeistert von der Idee, die Pflege der Anlage zu übernehmen. „Handlungsorientierter kann Geschichtsunterricht nicht sein“, begründet der Pädagoge sein Engagement. Im Lehrplan der zehnten Klassen steht das Thema deutsch-deutsche Geschichte von 1945 bis 1989. Auch das Leben mit und an der innerdeutschen Grenze soll behandelt werden, erklärt Knobbe. „Schön, dass wir den Bezug hier vor Ort haben.“

Auf Initiative des Grenzerkreises Abbenrode wurde dieses Relikt der Grenzbefestigung 2016 unter Denkmalschutz gestellt. Informationstafeln erläutern die Hintergründe der Anlage.

„Bei uns zu Hause ist die ehemalige Grenze schon immer mal wieder Thema“, erzählt Victoria. „Aber ich verbinde mit der Arbeit am Grenzdenkmal keine Emotionen. Wir haben hier einfach sauber gemacht.“ Das bestätigt Lehrer Knobbe: „Am Ende des Arbeitseinsatzes freuen sich die Schüler, dass sie etwas geschafft haben. Sie sind stolz auf das Geleistete.“ Victoria findet die Geschichte und die Erzählungen rund um das Thema ehemalige Grenze spannend, was sie aber wirklich nervt, sei das Gerede über Ossis und Wessis. „Wir müssen daran erinnern, was hier wirklich passiert ist und es als Mahnmal sehen, dass das nie wieder passiert“, so die 18-Jährige selbstbewusst.

Am 3. Oktober soll am Grenzdenkmal auf Initiative des Grenzerkreises eine Nachbildung einer Grenzsäule gesetzt werden. Engler hofft, dass das Grenzdenkmal dann noch mehr wahrgenommen wird und vielleicht noch mehr Autos anhalten.

Was die Schule mit den 5000 Euro Preisgeld machen will, ist noch nicht klar. „Wir haben den Preis ja auch gerade erst bekommen“, erklärt Knobbe. Ideen und Möglichkeiten gibt es viele: QR-Codes auf den Infotafeln, die auf Schülerarbeiten zum Thema hinweisen, Kunstprojekte oder Interviews.