Wald macht Klimawandel sichtbar

Kahlschläge und massenweise abgestorbene Fichten, für manche Harzbesucher ist das ein erschreckendes Bild. „Dies ist kein Waldsterben“, betont Dr. Friedhart Knolle vom Nationalpark Harz. „Aber es ist ein Signal, in welchem Zustand sich unsere Umwelt befindet.“ Der Pressesprecher des Nationalparks Harz wird nicht müde, dies Besuchern und Pressevertretern aus aller Welt immer wieder zu erklären. „Von Waldsterben würde man sprechen, wenn das Ökosystem Wald sterben würde. Doch hier sterben vorwiegend alte Fichten durch den Borkenkäfer“, stellt der promovierte Geologe klar. „Junge Bäume wie Ebereschen, Weiden, Birken und junge Fichten wachsen nach.“ Das könne man im überall im Harz beobachten.

Also alles gar nicht so schlimm? Kurze Bedenkzeit. „Ich will nichts schön reden, aber die Kraft des Waldes ist beeindruckend.“ Überrascht sei er allerdings von der Geschwindigkeit, mit der diese Veränderungen eintreten. Knolle holt aus: Borkenkäferbefall sei im Harz nichts Neues. Das habe es in den letzten Jahrhunderten bereits öfters in großem Ausmaß gegeben. Trotzdem habe man immer wieder auf die Fichte gesetzt und auch nach dem Zweiten Weltkrieg den Harz wieder mit Fichten aufgeforstet. Jahrhunderte lang war man im Harz auf den schnellwachsenden Rohstoff angewiesen, damit Bergbau und Hüttenindustrie funktionieren. Vom Borkenkäfer befallen werden vorwiegend geschwächte und kranke Fichten, die nicht mehr so widerstandsfähig sind. Sie senden chemische Signale, die den Borkenkäfer anlocken. „Betroffen sind in erster Linie Fichten, die älter als 60 Jahre sind.“

Knolle erinnert an die 1980er Jahre, in denen der Begriff „Waldsterben“ geprägt wurde. Damals war der Wald durch chemische Ursachen, also durch Schwefelemissionen aus Industrie- und Kraftwerksschornsteinen bedroht. Durch Druck der Umweltverbände und durch beherztes Handeln der Politiker konnte man dieses Problem lösen. Rückblickend muss Knolle sagen, dass der Wald sich seitdem nie richtig erholt hat, er geriet nur aus dem Fokus. „Und dieser geschwächte Wald hat jetzt mit den Folgen des Klimawandels zu kämpfen.“ Wobei laut Knolle Wissenschaftler schon lange vor dem Klimawandel warnen. Lag die Jahresdurchschnittstemperatur auf dem Brocken zu Beginn der Wetteraufzeichnungen um 1850 bei 1,5 Grad Celsius, so liegt sie heute bei über 4 Grad. „Wir waren also gewarnt.“

Knolle gibt zu, dass er über die Geschwindigkeit, in der der Wald durch den Klimawandel geschädigt wird, überrascht sei. Eigentlich sind es natürliche Prozesse, die hier ablaufen. „Der Wald stirbt nicht, sondern passt sich an“, wiederholt er. „Unser Ziel im Nationalpark ist es, den ehemaligen Wirtschaftswald in einen Wildniswald zu verwandeln. Aber durch die Dürre, die zum Klimawandel hinzukommt, sei der Prozess so schnell und brutal.

Kernaufgaben des länderübergreifenden Nationalparks sind Naturschutz, zu dem auch die Waldentwicklung gehört, sowie naturkundliche Bildung, Öffentlichkeitsarbeit und Forschung. „Unsere Aufgabe ist es außerdem, den Menschen zu zeigen, wie die Natur funktioniert und wie es ihr wirklich geht – da ist der Wald ein sichtbares Zeichen.“ Das Baumsterben werde als besonders dramatisch wahrgenommen, denn „die Deutschen lieben ihren Wald.“ Knolle macht sich viel mehr Sorgen um das schnell voranschreitende Artensterben. „Das ist nicht so sichtbar, deshalb bewegt es die Menschen weniger. Wir merken es oft gar nicht. Aber Arten, die ausgestorben sind, sind für immer verschwunden“, wirbt der Sprecher des Nationalpark Harz für mehr Natur- und Klimaschutz. „Wir müssen die Menschen mit diesen sichtbaren Schäden wachrütteln und klar machen, wie es um unsere Umwelt steht.“

Noch stellt Knolle im größten Waldnationalpark Deutschlands keine Besucherrückgänge fest. „Aber wir müssen den Menschen erklären, was hier passiert und wie wir vorgehen.“ Das geschehe durch Öffentlichkeitsarbeit und durch Gespräche der knapp 40 Ranger mit den Besuchern. Wichtig sei es, zu verstehen, dass der Nationalpark, der etwa zehn Prozent der Gesamtfläche des Harzes ausmacht, verschiedene Zonen hat. In der Kernzone, zu der etwa 60 Prozent der gesamten Fläche gehören, wird die Natur sich wirklich selbst überlassen. Hier sorgen Mitarbeiter lediglich für die Sicherheit der Besucher auf den Wegen. In der Entwicklungszone versuchen Mitarbeiter des Nationalparks die Entwicklung zum Naturwald zu unterstützen. „In diesem Bereich haben wir in den letzten Jahren 4,3 Millionen Buchen und andere Laubbäume gepflanzt.“ Um diese zwei Zonen gibt es den sogenannten Schutzstreifen. In diesem 500 Meter breiten Ring werden im Moment alle Bäume, die vom Borkenkäfer befallen sind, gefällt. Da das so gut wie alles Fichten sind, gleicht das örtlich einem Kahlschlag. „Hier arbeiten wir mit modernen forstlichen Methoden“, stellt Knolle klar. „Chemie kommt allerdings nicht zum Einsatz.“ Das Holz wird abgefahren und gelagert. Auf den Freiflächen werden als Hilfe zur Selbsthilfe Pflanzungen durchgeführt, vorwiegend mit Buchen. Auf diese Weise wird der Renaturierungsprozess im Nationalpark beschleunigt.