Frauenpower auf dem Rittergut

Es ist eine fantastische Symbiose: In der ehemaligen Zuckerfabrik auf dem Rittergut Besenhausen südlich von Göttingen in der Nähe des Dreiländerecks Thüringen-Niedersachsen-Hessen duftet es nach Kaffee und verführerisch nach selbstgebackenen Kuchen während an Webstühlen gearbeitet wird. Auf den hölzernen Webstühlen entstehen flauschige Wolldecken in unterschiedlichem Farbkombinationen und Mustern, die dem Café eine heimelige Atmosphäre geben.

Vier Frauen haben hier das Sagen. Vor weniger als einem Jahr machte sich Inge Gräser mit dem Café selbständig während Galina Schäfer, Kerstin Bermond und Martina Fenner-Fellmann für die Weberei zuständig sind. Beide Betriebe haben eine wechselvolle Geschichte hinter sich und alle Frauen verfügen über langjährige Erfahrungen in ihrem jeweiligen Bereich.

Die Handweberei wurde 1992 als sozialer Betrieb in Trägerschaft eines gemeinnützigen Vereins gegründet, erzählt Martina Fenner-Fellmann, seit Ende der 90er Jahre mit Unterbrechung als Webermeisterin in der Weberei tätig. Ziel war es, behinderte und anders benachteiligte Frauen durch handwerkliche Arbeit in der Weberei zu unterstützen. „Teilweise arbeiteten hier 28 Frauen“, schwärmt Fenner-Fellmann. Viele Frauen absolvierten eine Ausbildung und entwickelten Zukunftsperspektiven. Eine davon ist Galina Schäfer. Sie stammt aus Russland und absolvierte 2001 ein Praktikum in der Weberei, machte danach eine Ausbildung und arbeitet seitdem ununterbrochen als Gesellin in dem Betrieb. Für Fenner-Fellmann ist ihre Kollegin ein Beispiel, wie nachhaltig die Arbeit des sozialen Betriebes war.

Der Verein hatte jedoch in den letzten Jahren zunehmend finanzielle Probleme, da die Zuschüsse weniger wurden und sich soziale Arbeit veränderte. Ende 2018 musste der Verein seine Arbeit beenden. „Es war eine traurige Zeit“, blickt Kerstin Bermond zurück. „Wir haben uns quasi selbst abgewickelt, die Webstühle verkauft und die letzten Sachen ausgeräumt.“

Als „Nacht- und Nebelaktion“ beschreibt Bermond die Gründung des neuen Betriebes im November 2018. „Wir konnten uns nicht vorstellen, dass es das Café und die Handweberei nicht mehr gibt. Also gründeten wir die zwei Betriebe“, erklärt Fenner-Fellmann. „Wir lernen gerade laufen und eignen uns alles an, was zur Betriebsführung dazugehört“, beschreibt sie die Situation nach einem knappen Jahr Selbstständigkeit. Die drei Weberinnen sind von ihrem Produkt überzeugt und das gibt ihnen Mut für die Zukunft. „Unsere Wolldecken sind ein perfekt ausgereiftes Produkt, in dem viel Entwicklungsarbeit steckt. Gestalterisch gibt es keine Grenzen.“

Inge Gräser hat als gelernte Hauswirtschafterin Jahrzehnte auf dem Gut im Haushalt der Besitzerfamilie gearbeitet. Das Café startete im Jahr 2000 parallel zu einem Expoprojekt, das auf dem Rittergut angesiedelt war. „2004 bin ich in den Cafébetrieb eingestiegen, 2016 fand das Café beim Verein der Handweberei eine neue Heimat“, fasst Gräser die Geschichte zusammen. „So musste das Café 2018 ebenfalls schließen.

 „Ich backe viel zu gerne Kuchen“, so Gräser. „Uns liegt das Handwerk und das Weben so sehr am Herzen“, begründen die Frauen, dass sie weitermachen. Während Gräser sich nicht über mangelnde Cafégäste und Tortenaufträge beschweren kann, sind die Weberinnen noch auf der Suche nach Vermarktungsmöglichkeiten. „Wir gehen auf Kunsthandwerkermärkte und wir planen, in der Weihnachtszeit einen Laden in Göttingen zu mieten, um dort unsere einzigartigen Wolldecken zu verkaufen“, erklärt die Meisterin. Ziel sei es auch, Menschen an den Standort, also in die Weberei zu locken. „Denn hier können wir erklären und zeigen, was wir machen.“ In der Handweberei kann man nicht nur seine eigene Kuscheldecke individuell nach eigenen Wünschen anfertigen lassen, sondern man kann sich sogar seine Decke selbst weben. „Das dauert etwa zwei Tage und ist ein besonderes Erlebnis“, so Bermond. „Das ist wie Meditation“, ergänzt Fenner-Fellmann. Die Weberei hat auch am Wochenende geöffnet, wenn die meisten Cafégäste kommen. „Wir erklären den Menschen, dass unsere Wolle von einer speziellen Schafrasse aus Finnland stammt. Die finnische Spinnerei arbeitet ohne chemische Zusätze. Wir färben die Wolle nach eigenen Rezepten in der eigenen Färberei hinter der Werkstatt.“

Im Café, das direkt in die Weberei übergeht, sind viele verschiedene Decken ausgestellt. Ein Regal mit Wolle in den unterschiedlichsten Farbtönen zeigt die unendlichen Möglichkeiten der Gestaltung. Die Frauen sind optimistisch: Im Moment lagert die Abteilung Zoologie der Uni Göttingen im oberen Stockwerk, das früher zur Handweberei gehörte, Ausstellungstücke. „Meine Vision ist es, dass wir in ein paar Jahren, die Werkstatt so erweitern, dass wir die Räume wieder selbst nutzen“, wagt Fenner-Fellmann einen Blick in die Zukunft. Im Moment wird aber erst einmal für das Lager produziert, damit im Winter genügend Decken zum Verkauf vorrätig sind.