Baracken und Jägerzaun in guter Nachbarschaft

Für mehr als vier Millionen Menschen war Friedland seit 1945 das „Tor zur Freiheit“. 1945 wurde es im süd-östlichsten Zipfel der britischen Besatzungszone direkt an der Grenze zur sowjetischen und amerikanischen Besatzungszone im heutigen Landkreis Göttingen errichtet. Vertriebene, Kriegsheimkehrer, entlassene Kriegsgefangene, Aussiedler, Spätaussiedler, Flüchtlinge und Schutzsuchende fanden und finden hier eine erste Bleibe.

Das Grenzdurchgangslager war zunächst als Notbehelf und vorübergehende Einrichtung gedacht. „Nächstes Jahr wird die Einrichtung 75 Jahre alt“, so Heinrich Hörnschemeyer, Leiter der Einrichtung. Gerade befinden sich etwa 300 Spätaussiedler, 200 Flüchtlinge aus humanitären Aufnahmeprogrammen und einige wenige Asylsuchende in der Einrichtung, die eine Kapazität für etwa 800 Personen hat. „Im Herbst 2015 hatten wir 3000 Menschen hier“, so Hörnschemeyer. „Da gab es keine Unterrichts- oder Gemeinschaftsräume mehr, sondern nur noch Matratzen bis in die Verwaltung“, blickt er in sein geräumiges Büro. „Im Nachhinein kann man sagen, wir haben es geschafft, aber so eine Situation wünschen wir uns nicht mehr. Aber es ist unser Auftrag, diesen Menschen zu helfen.“

Im Moment läuft alles sehr ruhig. Fast idyllisch wirkt die Einrichtung mit den Baracken, Wohnblöcken und gepflegten Grünanlagen. Es ist gerade Mittagspause. Ein Teil der derzeitigen Bewohner sitzt noch im Speisesaal. Andere Familien schlendern mit ihren Kindern durch die Straßen oder legen am Spielplatz einen Stopp ein.

„Die Spätaussiedler bleiben zirka eine Woche, die Flüchtlinge zwei Wochen“, erklärt Hörnschemeyer beim Rundgang über das Gelände. „Es ist für die Menschen nur ein kurzer Aufenthalt hier.“ Der Begriff Durchgangslager passt also immer noch. Für beide Gruppen gibt es einen vorgegebenen Ablauf für ihren Aufenthalt. Stehen bei den Spätaussiedlern die bürokratischen Abwicklungen im Vordergrund, so bekommen die Flüchtlinge auch erste Informationen über das Leben in Deutschland und einen ersten Sprachkurs. „In wenigen Tagen können sie natürlich nicht Deutsch lernen, aber vielleicht schon ein paar Worte zur ersten Kommunikation. Wichtig ist für uns vor allem, dass die Menschen verstehen, warum es wichtig ist, schnell die deutsche Sprache zu lernen.“ Kinder haben in Friedland keine Schulpflicht. Aber für sie gibt es ein schulähnliches Angebot. „Es ist sensationell, was die Kinder in einer Woche lernen“, ist Hörnschemeyer begeistert.

Auf dem Gelände sind verschiedene Wohlfahrtsverbände angesiedelt. „Die organisieren zum Beispiel den Jugendclub am Nachmittag oder die Kinderbetreuung am Vormittag, damit die Eltern in ihre Kurse gehen können.“ Wichtig sei es für die Menschen, die Angebote der Wohlfahrtsverbände kennenzulernen, so dass sie wissen, dass sie sich an ihren zukünftigen Wohnorten auch Hilfe holen können.

 Hier ist ein Kommen und Gehen“, beschreibt der Leiter das Leben in der Einrichtung. Um echte Kontakte aufzubauen, ist die Zeit zu kurz. „Wir bekommen auch selten Rückmeldung, wie die Menschen die Zeit hier erlebt haben. Aber wir sind überzeugt, dass der erste Eindruck in Deutschland für die Menschen wichtig ist und wir sind die erste Station.“ Nach seiner Erfahrung, freuen sich die Menschen, dass sie hier ernst genommen und wertgeschätzt werden. „Es sind unsere Kunden und so behandeln wir sie auch“, erklärt Hörnschemeyer sein Selbstverständnis und das seiner Mitarbeiter. „Das ist hier eine multikulturelle Bewohnerschaft. Wir leben Toleranz und deshalb funktioniert es auch so gut.“

Der Leiter der Einrichtung beschreibt das Grenzdurchgangslager als ein Dorf im Dorf. Alles ist frei zugänglich, es gibt keinen Zaun und keine Absperrungen. Um in den westlichen Teil des Lagers zu gehen, queren die Menschen eine öffentliche Straße und nutzen einen Durchgang unter dem Glockenturm der Kirche, die zwischen den beiden Teilen des Lagers steht. Die Einrichtung ist umgeben von Einfamilienhäusern und Grundstücken, die mit Jägerzäunen eingefasst sind. Die Familien des Lagers nutzen diese Straßen zum Spazierengehen oder um zu den Gebäuden der Einrichtung zu kommen.

„Die große Akzeptanz der Friedländer gegenüber dieser Einrichtung und den Menschen hängt mit der Geschichte zusammen. Die Einrichtung gehört zum Dorf“, stellt Hörnschemeyer klar. Außer Acht lassen dürfe man auch nicht die wirtschaftliche Bedeutung der Einrichtung. „120 Mitarbeiter hat das Grenzdurchgangslager – aus Hessen, Niedersachsen und Thüringen. Dazu kommen noch die ansässigen Bundesbehörden, Wohlfahrtsverbände und diverse Dienstleister, die für die Einrichtung arbeiten.

Die Geschichte des Lagers Friedland ist in einem 2016 eröffneten Museum im ehemaligen Bahnhofsgebäude in unmittelbarer Nähe dokumentiert. Eines wird deutlich: Friedland spiegelt nach Ende des Kalten Krieges nicht mehr in erster Linie die Folgen des Zweiten Weltkrieges, sondern die Folgen der globalen Krisenherde von heute.