Ein Wahrzeichen an der Werra

Die Burgruine Brandenburg thront hoch über dem Werratal bei Lauchröden und Herleshausen in der Nähe von Eisenach. Sie ist die größte Doppelburganlage Thüringens. Bald 40 Jahre war sie für die Menschen unerreichbar. Reinhard Schneider aus Lauchröden in Thüringen spielte noch als Kind auf der Brandenburg. Im Zuge des Grenzausbaus wurde die Brandenburg komplett eingezäunt und der Burgberg durfte ab 1962 nicht mehr betreten werden. Helmut Schmidt aus Herleshausen in Hessen konnte die Türme der Burgruine, die um 1200 erbaut wurden, täglich sehen. Obwohl sie nur einen Kilometer entfernt war, war sie doch unerreichbar für ihn.

Aufgrund ihrer Lage direkt an der Grenze sei die Anlage von offizieller Seite der DDR totgeschwiegen und dem Verfall preisgegeben worden. Aber die Menschen vergaßen „ihre“ Burg nicht. Reinhard Schneider erzählt, dass es 1986 auf Drängen der Dorfbevölkerung einmalig möglich war, unter Begleitung der Grenzsoldaten zur Ruine, die ehemals aus zwei eigenständigen Burgen bestand, hoch zu gehen. Die Lauchröder, die mittlerweile komplett eingezäunt waren, setzen 1988 durch, dass die Brandenburg dauerhaft zugänglich wird – aber immer unter Aufsicht der Grenzbeamten. „Die Burgruine war in einem desolaten Zustand“, erinnert sich Schneider. „In Arbeitseinsätzen mit vielen Freiwilligen haben wir erst einmal den Weg zur Burg freigeschnitten.“ Engagierte Lauchröder gründeten eine Interessengemeinschaft zur Erhaltung der Brandenburg.

Pfingsten 1989 traf Helmut Schmidt, der damals Vorsitzender des Werratalvereins Herleshausen war, die Mutter von Reinhard Schneider. Als Rentnerin durfte sie in den Westen reisen. Sie hatte ein Bild der Brandenburg bei sich. „Mein Sohn möchte die Brandenburg retten. Könnt Ihr uns helfen?“, zitiert Schmidt die ältere Dame aus dem thüringischen Lauchröden. Sie stieß in Herleshausen auf offene Ohren, denn „es ist ja unser gemeinsames Wahrzeichen der Werraregion“, so Schmidt. Innerhalb kürzester Zeit waren ein paar Tausend Deutsche Mark für die Burg zusammen. „Doch wie sollte das Geld nach Lauchröden kommen?“, fragte sich Schmidt damals. Er fuhr nach Eisenach, rief den Pfarrer von Lauchröden an, der kam sofort nach Eisenach. Allerdings meinte der Pfarrer, dass sie kein Geld brauchten, sondern Technik und zwar speziell eine Bergsteigerausrüstung.

Reinhard Schneider machte sich große Sorgen, um die Stabilität des Westturmes. Er hatte mittlerweile Kontakt zu einer Sportgruppe aus Eisenach, die sich bereit erklärten, für eine Bestandsaufnahme auf den Turm zu klettern. Kurze Zeit später tauchte wieder ein Rentner aus Lauchröden in Herleshausen auf und nahm die Bergsteigerausrüstung in Empfang. Schneider erzählt von den erstaunten Grenzbeamten an der Grenzübergangsstelle, die sich wunderten, was ein Rentner mit der Bergsteigerausrüstung vor hatte. Mittlerweile hatte es Schneider geschafft, dass sich die Denkmalbehörde in Erfurt für die Anlage interessierte. „Es gab die ersten denkmalpflegerischen Zielstellungen zur Erhaltung der Ruine.“

Dann kam die Wende. Innerhalb kürzester Zeit wurde eine provisorische Fußgängerbrücke über die Werra gebaut, so dass am 23. Dezember 1989 das große Grenzöffnungsfest zwischen Lauchröden und Herleshausen gefeiert werden konnte. Und Helmut Schmidt und viele andere aus Herleshausen konnten endlich auf ihre „geliebte Brandenburg“ hoch.

Seit 1994 gehört die Burgruine mit einem runden und einem sechseckeigen Bergfrieden sowie einem Wohnturm zum Bestand der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten. Aber Reinhard Schneider ist der ehrenamtliche Burgherr. Mit großen handgeschmiedeten Schlüsseln in der Hand führt er über die Anlage. Er hat sich 30 Jahre lang um die Sanierung der Burgruine von überregionaler Bedeutung gekümmert. Es gab viele Förderer aus der Region, viele Spenden, viele Arbeitseinsätze von Freiwilligen aus Thüringen und Hessen sowie Fördergelder von Bund und Land. Nicht nur die Mauern sind wieder hergerichtet und saniert, die Burg ist auch mit Leben erfüllt.

Schon 1990 gab es das erste Brandenburgfest, das sich mittlerweile zu einem alle zwei Jahre stattfindenden überregionalen Treffpunkt der Mittelalterszene entwickelt hat. Es gibt einen Turnierplatz für Ritterspiele. Es gibt Theateraufführungen und Konzerte aller Stilrichtungen, Pfadfinder errichten dort regelmäßig ihr Feriencamp und nutzen die historische Anlage. Auf Initiative Schneiders gibt es ein Burgmuseum im Wohnturm mit wechselnden Ausstellungen. Zum Reformationsjahr gestaltete man eine Sonderausstellung über Ritter Georg von Reckrodt, der um 1500 auf der Brandenburg geboren wurde. Er wurde als Truppenführer auf Seiten der Protestanten im Schmalkaldischen Krieg berühmt. Schneider pflegt intensive Kontakte zur Fachwelt im Bereich Burgen und Mittelalter. Auch die Aussichtsplattform auf dem Wohnturm ist für Besucher wieder freizugänglich. Helmut Schmidt und Reinhard Schneider freuen sich auch nach 30 Jahren noch über die Aussicht auf das Werratal. Aber die Grenze können sie nicht vergessen. Immer wieder erklären sie, wo Zäune quer durch Wälder, über Bergkuppen, rund um Dörfer und auch rund um die Brandenburg gezogen waren. Gemeinsam haben sie es geschafft, die Burgruine aus ihrem Dornröschenschlaf zu wecken, sie vor dem Verfall zu retten und wieder Leben in die alten Mauern einzuhauchen. Ein unglaublicher Kraftakt und zugleich eine große Herausforderung für die Zukunft.

 

Fotohinweis: Das historische Foto mit den Grenzanlagen stammt von Hermann Casel, ehemaliger Mitarbeiter des Bundesgrenzschutzes.