Geschichte des „weißen Goldes“ an der Werra

 

Der Kalibergbau hat das idyllische Werratal geprägt. Als man Ende des 19. Jahrhunderts das „weiße Gold“ zwischen Thüringer Wald, Rhön und Vogelsberg entdeckte, setzte ein Bauboom ein, der die Region heute noch prägt. Die Salzlager entlang des Werratales kennen keine Grenzen, sie liegen sowohl in Thüringen als auch in Hessen. Durch die Teilung Deutschlands wurde allerdings das Revier gespalten und die Entwicklungen im hessischen und im thüringischen Teil verliefen sehr unterschiedlich.

 

Die Geschichte des Kalibergbaus an der Werra wird in einem Museum in Heringen in Osthessen im Landkreis Hersfeld-Rotenburg gezeigt. Aufgebaut hat es Hermann-Josef Hohmann Anfang der 90er Jahre. Hohmann studierte Geografie und Kulturwissenschaften in Marburg und Graz. Gerade als er seine Promotion beginnen wollte, erfuhr er, dass die Stadt Heringen Fördermittel für ein Museum erhalten hatte, aber noch kein Konzept hatte. Der junge Wissenschaftler, der aus der hessischen Grenzregion stammt, entwickelte nicht nur das Konzept für ein Museum über den Kalibergbau in der Region, sondern leitet es bis heute. „Mein Anspruch war es, ein deutsch-deutsches Museum zu gestalten“, so Hohmann. „Es war ja immer ein Wirtschaftsraum und das sollte deutlich werden.“ Abgebaut wird in den Bergwerken an der Werra Kalisalz. Das darin enthaltene Kalium ist ein wichtiger Rohstoff für Düngemittel in der Landwirtschaft. 

 

Das Museum zeigt auf über 1000 Quadratmetern die Geschichte von der Salzentstehung vor über 250 Millionen Jahren, der Entdeckung des Salzes vor etwa 120 Jahren, den Wandel der Arbeitswelt der Bergleute, die Entwicklung während der deutschen Teilung über die Wiedervereinigung bis heute. Thematisiert wird auch, wie sich die arme, von Landwirtschaft geprägte Region durch den Bergbau verändert hat. Es wurden nicht nur Bergwerke gebaut, sondern auch Fabriken, um den Rohstoff weiterzuverarbeiten. Es entstanden Siedlungen für Arbeitskräfte und Direktorenvillen für Führungskräfte. Die Region wurde verkehrstechnisch erschlossen. Für Menschen in der Region gab es plötzlich berufliche Perspektiven außerhalb der Landwirtschaft. Hohmann weist beim Rundgang durch die Ausstellung darauf hin, welche Auswirkungen der Bergbau auf Familien hatte: Die kleine Landwirtschaft, die jede Familien hatte, führten in der Regel die Frauen allein weiter. „Eine enorme Belastung für die Frauen.“

 

Hohmann zeigt anhand von Fotos und Dokumenten, welche Schätze unter anderem am Ende des Zweiten Weltkrieges in den Bergwerken an der Werra eingelagert waren: Teile des Vermögens der Reichsbank, Kunstschätze aus Berlin, die Bibliotheken der Universität Berlin und Marburg.

 

Wichtig war der Kaliabbau nach der Teilung auf beiden Seiten der Grenze. Die DDR konnte Kali auf dem Weltmarkt gegen Devisen verkaufen. Auf der hessischen Seite bot die Kaliindustrie im Zonenrandgebiet gut bezahlte Jobs.

 

Die Grenze  zwischen DDR und BRD verlief unter Tage anders als oben. Die Grenzverläufe wurden unter Tage begradigt, um den Abbau zu erleichtern. Dies wurde Mitte der 70er Jahre in einem Staatsvertrag zwischen BRD und DDR geregelt. Heute gibt es Verbindungen zwischen hessischen und  thüringischen Bergwerken, die aber nur zum Transport von Salz genutzt werden.

 

Laut Berechnungen leben heute in der Werra-Region in Hessen und Thüringen etwa 16000 Menschen direkt oder indirekt vom Bergbau. Hohmann geht davon aus, dass es bei den Kumpels im Bergbau 30 Jahre nach der Grenzöffnung keine Rolle mehr spielt, ob sie aus Thüringen oder Hessen kommen. Allerdings geht er davon aus, dass es diese Grenze trotzdem noch bei vielen Menschen gibt. „Bis diese ehemalige innerdeutsche Grenze mit ihrer Brutalität und Massivität aus den Köpfen der Menschen verschwunden ist, wird es dauern“, so seine Prognose. Dass viele Bergwerke auf thüringischer Seite nach der Wende schließen mussten und viele Kumpels ihre Arbeitsplätze verloren, sei nicht vergessen. Arbeitslosigkeit spiele zwar in der Region kaum keine Rolle. Hohmann weiß aber, dass viele Bergleute sich stark mit den Bergwerkstraditionen identifizieren. Auch wenn sie in anderen Branchen Arbeit gefunden haben, so ist es doch ein Einschnitt in der Biografie, die nicht immer positiv gesehen wird.

 

Industrie bringt in der Regel in ländliche Regionen Arbeitsplätze, aber oft auch Umweltprobleme. Kali-Düngemittel sind laut Hohmann nicht das eigentliche Problem. Ökologisch ein riesiges Problem sind dagegen die Rückstände der Kaliherstellung. „Aus einer Tonne Rohsalz entstehen 235 Kilogramm des Endproduktes, also Kali“, heißt es auf einer Tafel im Museum. Und der Rest muss irgendwohin. Er landet teilweise auf Halden, teils in der Werra. Bis 2020 wird ein Teil der Salzabwässer noch in poröse Gesteinsschichten versenkt. „Ökologisch alles problematisch“, so Hohmann. Lägen die Kalivorkommen am Meer, wäre es einfacher, die Rückstände in das salzige Meer zu entsorgen. Aber für einen kleinen Süßwasserfluss wie die Werra sind die salzigen Abwässer ein Problem.

 

Der Weltkonzern K+S (Kali und Salz), das einzige Unternehmen das Kalibergbau in Deutschland betreibt, hat enorme Anstrengungen unternommen und viel in den Umweltschutz investiert, um die Umweltbelastungen an der Werra zu reduzieren. Hohmann spricht von „ökologisch optimierten Kalibergwerken in Deutschland“. Die Wasserqualität der Werra hat sich aufgrund hoher Auflagen und strenger Grenzwerte in den letzten Jahren deutlich verbessert. Hohmann gibt aber zu bedenken: „Wir müssen uns Gedanken über unseren Lebensstil machen und wie wir in Zukunft mit Rohstoffen umgehen.“

 

Heute gibt es an der Werra noch drei aktive Produktionsstandorte, zwei in Hessen und einer in Thüringen, sowie das Erlebnisbergwerk Merkers in Thüringen. Nach derzeitigen Berechnungen reicht das Kalisalz noch bis 2060. Ein Gebiet von 500 Quadratkilometern (entspricht etwa der Fläche der Stadt München) wurde bereits abgebaut. Auf 600 bis 700 Quadratkilometern lagern noch etwa 640 Millionen Tonnen Salz.

 

Mittlerweile ist die Ausstellung 30 Jahre alt. „Mein Traum ist, dass hier eine neue Ausstellung entsteht. Ideen dafür hätte ich genug“, so Hohmann. „Ich würde die Geschichte des Kalibergbaus für ganz Deutschland erzählen. Ökologie müsste einen viel größeren Raum einnehmen. Die Zielgruppe Kinder sollte viel mehr berücksichtigt werden.“

 

„Ich werde es wohl nicht mehr machen“, sagt der 57-Jährige. Für eine Stadt wie Heringen mit etwa 7000 Einwohnern sei ein Museum mit diesem Umfang viel zu groß. Es müssten sich andere Träger daran beteiligen. Hohmann ist als städtischer Beamter nicht nur Museumsleiter, sondern auch als Fachbereichsleiter zuständig für Wirtschaftsförderung, Stadtentwicklung und Öffentlichkeitsarbeit. Für die eigentliche Museumsarbeit habe er viel zu wenig Zeit. Und dabei ist die Geschichte doch so spannend.