Junge Familie im alten Bahnhof

 

Wenigentaft, eine kleine Gemeinde im thüringischen Wartburgkreis, hatte einst einen bedeutenden Bahnhof. Von 1906 bis zur deutschen Teilung war Wenigentaft ein Eisenbahnknotenpunkt mehrerer Regionalbahnen. Der Ort mit gut 300 Einwohnern lag zu DDR-Zeiten im 500-Meter-Schutzstreifen und war von drei Seiten von der innerdeutschen Grenze umgeben. Alle Zugverbindungen wurden Anfang der 50er Jahre stillgelegt. Rund um den Ort findet man im Wald   noch überwucherte Schienenreste. Das Bahnhofsgebäude blieb und diente bis in die 90er Jahre als Wohnraum für vier Familien. 

 

Seit einem halben Jahr wohnt eine junge Familie in dem historischen Gebäude: Anika und Markus Hundertmark haben das Gebäude vor drei Jahren gekauft, von Grund auf saniert und leben jetzt mit ihren beiden Kinder (3 Jahre und 6 Monate) in dem ehemaligen Bahnhof.

 

„Der Bahnhof war total verbaut, Wände eingezogen, Fenster zur Hälfte zugemauert und Decken mehrfach abgehängt“, erzählt Markus Hundertmark. „Aber es gab alte Fotos und Zeichnungen, so wussten wir, wie der Bahnhof mal ausgesehen hat.“

 

Wie kommt man als junge Familie dazu, einen Bahnhof wenige 100 Meter vom Grünen Band entfernt zu kaufen? „Wir waren auf der Suche nach einem Haus“, blickt Markus Hundertmark zurück. „Wir haben uns Neubaugebiete angeschaut. Aber das kam für uns nicht in Frage. Wir wollten anders leben.“ Hundertmark erfuhr über sein Engagement im Gemeinderat von Plänen der Gemeinde, den Bahnhof Wenigentaft abreißen zu lassen und auf dem Grundstück Baugebiete auszuweisen. „Wir schauten uns das Gebäude an, setzten uns vor den ehemaligen Bahnhof und konnten uns vorstellen, dort zu leben“, erzählt Hundertmark, der wie seine Frau aus der Region kommt. „Und so entwickelten wir ein Konzept zum Umbau und zur Nutzung des Gebäudes, beantragten Fördergelder und kauften schließlich den Bahnhof.“ Das war vor drei Jahren. Mittlerweile ist die Familie eingezogen und fühlt sich wohl.

 

„Es ist ein schönes Wohnen hier“, sagen Anika und Markus Hundertmark unisono. „Wir haben versucht, vieles wieder so herzustellen, wie es war, zumindest was die äußere Ansicht betrifft.“ Die Fensteröffnungen wurden wieder geöffnet, so dass im Erdgeschoss große mehrteilige Rundbogenfester eingesetzt werden konnten. „Das alte Parkett konnten wir leider nicht retten“, bedauert Hundertmark. Aber ein Freund, der beim Umbau viel geholfen habe, hat aus den Parkettresten neue Fensterbänke gemacht. Auch die Stahltreppe, die nach oben führt, soll mit dem alten Parkett belegt werden. Dass die Holzdecke mit Schnitzarbeiten im heutigen Wohnzimmer erhalten ist, sei ein Glücksfall. „Diese Decke war mehrfach abgehängt, so war sie im Original erhalten. „Wir haben mit Unterstützung der Nachbarschaft und der Verwandtschaft viel selbst gemacht“, blicken die beiden zurück. „Wir sind noch nicht fertig, aber wir genießen es schon sehr“, so das junge Paar. Den großen Garten und die Natur, von der sie umgeben sind, schätzt die ganze Familie.

 

Markus Hundertmark, der sich beruflich mit erneuerbaren Energien beschäftigt, hat auch in seinem Gebäude ein Zeichen gesetzt. Geheizt wird über eine Wärmepumpe, die dem Grundwasser Wärme entzieht. Eine Solaranlage auf dem Dach und ein Holzofen im Wohnzimmer für kalte Tage ergänzen den Energiemix.

 

Im nächsten Jahr sollen zwei Ferienwohnungen fertig werden. „Das ist Bestandteil unseres Konzeptes“, so Markus Hundertmark. „Wir möchten auch etwas zur Entwicklung der Region beitragen“, so die Begründung, warum sie nicht einfach Wohnungen zur Dauervermietung bauen. „Es kommen jetzt so viele Fahrradfahrer vorbei, die nach Übernachtungen fragen“, ist Anika Hundertmark überzeugt, dass der Tourismus Chancen hat. Dort wo früher Schienen lagen, sind heute zum Teil Radwege angelegt, so dass sich heute mehrere Fahrradwege in Wenigentaft kreuzen.  

 

Die Hundertmarks, die beide aus Nachbardörfern kommen,  bezeichnen die Region als durchweg positiv. „Es gibt wenig Abwanderung und vor allem junge Familien bleiben hier oder kommen zurück.“ Die Nähe zur ehemaligen Grenze sei jetzt ein Vorteil: Es gibt genügend Arbeitsplätze, auch für qualifizierte Menschen. Markus Hundertmark pendelt als Elektroingenieur nach Fulda. Anika Hundertmark ist Chemikantin in Elternzeit und möchte danach wieder in einem Industriebetrieb in unmittelbarer Nähe berufstätig sein. Der Hausherr hat sich als Gemeinderatsmitglied für den Breitbandausbau stark engagiert. „Das war kein Selbstläufer und bedeutete viel Bürokratie. Aber jetzt haben wir es geschafft und haben superschnelles Internet.“ Das sei für die ganze Gemeinde mit ihren Ortsteilen und für die ansässigen Unternehmen sehr positiv. „Ich kann jetzt sogar einen Tag von zu Hause aus arbeiten. Das wäre ohne schnelles Internet nicht möglich gewesen“, so der Familienvater zufrieden. „Wir haben alles, was wir brauchen“, ergänzt die Mutter. „Kindergarten und Grundschule sind im Nachbarort.“ Da könne man sogar mit dem Fahrrad hinfahren. Der Bäcker kommt ins Dorf, Metzger gibt es im Nachbarort, den Rest müsse man in Geisa erledigen. Auch Kinder gibt es genügend. Die Hundertmarks müssen es wissen, befindet sich doch der Dorfspielplatz direkt neben dem Haus. „Er ist gut besucht – von Kindern aus dem Dorf, aber auch von vielen Touristen.“

 

Die junge Familie hofft, dass ihr Engagement viele Nachahmer findet. Zum einen sei es ein positives Beispiel, wie man alte Gebäude, die an der ehemaligen Grenze eher ein Schattendasein führen, wieder zu neuem Leben erwecken könne. „Wir hoffen aber auch, dass unser Engagement für den Tourismus in der Region Nachahmer findet.“

 

„Die Akzeptanz der Bevölkerung für das Grüne Band muss noch wachsen.“ Vielen sei noch nicht bewusst, was für einen Schatz sie direkt vor der Haustür haben. Der Ort gehört seit 2014 auch zum „Sternenpark Rhön“, das heißt, es ist ein Gebiet, in dem nächtliche Dunkelheit als Schutzgut betrachtet wird. „Auch diese Vorteile müssen wir noch mehr bekannt machen“, sieht sich der engagierte Bahnhofsbesitzer in der Pflicht.