Kann man die Leidenschaft für die Schäferei vererben? In der Familie Kieslich scheint das so zu sein. „Wir sind in der dritten Generation Schäfer“, erzählt Volker Kieslich. „Mein Vater, mein Onkel, meine Cousins, mein Sohn, alle sind Schäfer“, ergänzt der 61-Jährige.
Volker Kieslich startete nach der Wende sofort durch und erfüllte sich den Traum vom eigenen Betrieb. Er kaufte einen ehemaligen RinderstalI, den die LPG vorher nutzte, und baute ihn für seine Zwecke um. „Ich war der erste Vollerwerbslandwirt im Landkreis Hildburghausen“, blickt er mit Stolz zurück. „Ich hatte kein Land, aber ich habe viel gepachtet und auch im Laufe der Jahre viel gekauft.“ Mittlerweile ist sein 41-jähriger Sohn Mike in den Betrieb eingestiegen. Zu ihrer Schäferei gehören heute 1000 Mutterschafe und etwa 400 Lämmer. Vater und Sohn haben sich die Arbeit aufgeteilt. Mike zieht mit den Schafen über die Wiesen. „Wir nutzen die schlechten Flächen, die sich für Ackerbau nicht eignen“, erklärt Volker Kieslich. „Mit unseren Schafen machen wir in erster Linie Landschaftspflege.“ So zieht die Schafherde über Hänge mit Streuobstwiesen oder am Grünen Band entlang. „Das pflegen wir auf einer Länge von etwa zehn Kilometern. Ohne Schafe würden diese Wiesen verbuschen.“ Die Kieslichs bekommen für diese Arbeit Zuschüsse über verschiedene Landschaftspflegeprogramme. Zwischen den Schafen tummeln sich 21 Ziegen. „Die fressen auch dorniges Gestrüpp, das die Schafe nicht so sehr mögen“, erklärt der Junior-Schäfer.
Volker Kieslich kümmert sich im Betrieb um alles andere als Schafe hüten, zum Beispiel um das Winterfutter, das aus Silage aus Luzerne und Gras besteht. Außerdem muss der Stall in Ordnung sein, damit die Muttertiere zum Lammen dort unterkommen können und im Winter die ganze Herde Platz hat.
Ziel ist es, dass die Mutterschafe in zwei Jahren dreimal lammen. „Wir planen so, dass die Lämmer zu Festtagen wie Ostern, Ramadan oder Weihnachten schlachtreif sind.“ Zur Schäferei gehören zehn Böcke, die in den nächsten Tagen zur Herde kommen, damit sie die Schafe decken. Die Lämmer kommen dann im Dezember auf die Welt, vier Monate später werden sie pünktlich zu Ostern geschlachtet. Die Lämmer für den Weihnachtsbraten werden im August geboren.
Die Schafe sind je nach Futterangebot neun bis zehn Monate im Jahr draußen auf den Wiesen. Und Tag für Tag steht Mike bei seinen Schafen und hat alles im Blick: Seine 1000 Schafe und seine fünf Hunde. Er hat in einem Schafzuchtbetrieb die Ausbildung zum Tierwirt, Fachrichtung Schäferei, gemacht und anschließend die Meisterprüfung abgelegt, so dass er sich jetzt Schäfermeister nennen und selbst ausbilden darf. „Ich habe nie über einen anderen Beruf nachgedacht“, stellt er klar. Das Draußensein in der Natur und das Zusammenspiel mit den Tieren faszinieren ihn an dem Beruf. Seine altdeutschen Schäferhunde hat er selbst erzogen, so dass sie auf ihn hören. Er erklärt, dass die Hunde nur das machen, was er von ihnen verlangt. „Allein können sie die Schafe nicht hüten. Wenn ich jetzt weggehen würde, wäre die Herde ganz schnell im Weizen auf der anderen Straßenseite und die Schafe würden sich totfressen.“ Mike scheint die Ruhe in Person zu sein. „Nein langweilig ist es nie. Ich beobachte meine Schafe und sehe sofort, wenn etwas nicht in Ordnung ist“, erklärt er lächelnd, während er sich auf seine Schäferschippe stützt – das ist der offizielle Name seines universellen Werkzeuges am Ende des Schäferstabes.
Etwa neun Stunden ist der Schäfermeister mit seinen Tieren unterwegs. Zwischendurch geht er mit ihnen mehrmals am Wassertank vorbei. Über Nacht kommen die Tiere in einen Pferch, also in ein eingezäuntes Stück Weideland. „Das sind die Wiesen, die wir vorher für Grassilage abgemäht haben.“
An Urlaub denkt Mike nach eigenen Worten nicht. „Ich habe jeden Tag Urlaub“, blickt er zufrieden auf den Hang, wo die Schafe unter Apfelbäumen fressen. Und am Wochenende sind seine Kinder meist mit ihm bei den Schafen. Das freut besonders den Opa, dass Enkel und Enkelin sich für die Schafe interessieren.